Berlin, 4. 12. 2015
Heute hat der Bundestag mit der Mehrheit der Koalitionsfraktionen den „Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte zur Verhütung und Unterbindung terroristischer Handlungen durch die Terrororganisation IS“ beschlossen. Auch ich habe dem Einsatz zugestimmt und möchte Ihnen gerne Argumente und Informationen darlegen, die mich veranlasst haben, mit meiner Fraktion für den deutschen Beitrag zur internationalen Allianz gegen den IS beizutragen.
Der IS bedroht aufgrund seiner Gewaltideologie die europäische und die internationale Sicherheit durch seine terroristischen Handlungen, insbesondere seine systematischen Angriffe gegen einfache Bürgerinnen und Bürger in unseren Ländern, und durch die Anwerbung und Ausbildung von Kämpfern für den Nahen Osten in unseren Ländern und ebenso in Teilen Afrikas und in Russland.
Frankreich hat nach den brutalen Terroranschlägen in Paris am 13. November die Mitgliedstaaten der EU um Beistand nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages, der sogenannten Beistandsklausel, gebeten. Wir stellen uns solidarisch an die Seite Frankreichs. Zugleich reagieren wir damit auf die Bedrohung, die der IS auch für Deutschland darstellt. Bei den Anschlägen in Paris waren auch zwei junge Deutsche unter den Opfern und der Attentatsversuch gegen das deutsch-französische Länderspiel richtete sich genauso gegen uns wie gegen Frankreich. In zahlreichen Videobotschaften ruft zudem der IS zu Anschlägen in Deutschland auf und erklärt uns zum Ziel seiner Attacken.
Rechtsgrundlage des Einsatzes ist Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern.“ Die Vereinten Nationen sind so ein System kollektiver Sicherheit.
Der Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen stellt das Recht auf kollektive Selbstverteidigung fest. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 ist auch anerkannt, dass ein Staat sich gegen Angriffe eines internationalen Terrornetzwerks verteidigen darf.
Ferner legitimiert sich der Einsatz durch die EU-Beistandsklausel im Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages. Unter Bezug auf diesen Artikel hatte Frankreich die Mitgliedstaaten der EU um Hilfe ersucht. Beim Rat der EU-Verteidigungsminister am 17. 11. 2015 in Brüssel haben alle Mitgliedstaaten das französische Hilfeersuchen unterstützt und ihren Beistand zugesichert.
Von einigen Kritikern des Einsatzes wird bemängelt, dass es keine ausdrückliche Resolution des Sicherheitsrats für einen Militäreinsatz gibt. Dagegen steht, dass die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts nach Artikels 51 der UN-Charta erfolgt. Deshalb ist eine ausdrückliche Sicherheitsratsresolution nach Kapitel VII der UN-Charta nicht zwingend. Das Selbstverteidigungsrecht besteht auf jeden Fall so lange, bis der Sicherheitsrat mit Hilfe einer entsprechenden Resolution die internationale Sicherheit wiederherstellen kann. Dies ist bisher nicht möglich gewesen.
Immerhin hat der Sicherheitsrat in seiner Resolution 2249 vom 20. 11. diesen Jahres mit Formulierungen des Kapitel VII festgestellt, dass der IS eine Bedrohung für den Frieden und die internationale Sicherheit ist und die Staaten dazu aufgerufen, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um weitere Terrorakte des IS zu verhindern. Der genaue Text der Resolution und vorlaufender Resolutionen zum gleichen Thema ist unten verlinkt.
Das wichtigste militärische Mittel des beschlossenen Einsatzes sind sechs Aufklärungstornados, deren Fähigkeiten weltweit einmalig sind. Sie sollen Bilder in höchster Auflösung aufnehmen und diese in Echtzeit übertragen. Damit wird eine zielgenaue Bekämpfung der Terroristen und ihrer Infrastruktur ermöglicht und zugleich die Identifizierung ziviler Ziele, die nicht bekämpft werden dürfen, erheblich verbessert. Die Daten aus der Aufklärung erhalten nur NATO-Partner, die tatsächlich Einsätze gegen den IS fliegen, also weder Russland, noch die ‚Türkei.
Außerdem entsendet Deutschland eine Fregatte der Bundesmarine zum Schutz des Flugzeugträgers „Charles de Gaulle“ und ein Tankflugzeug zur Luftbetankung seiner Flugzeuge. Auf der Fregatte sind rund 230 Soldaten im Einsatz, insgesamt rund 700. Wegen der Personalrotation ist das Gesamtkontingent des Mandats auf 1200 Personen begrenzt. Es läuft zunächst bis Dezember 2016.
In einem späteren Beschluss des Bundestages soll das Bundeswehrkontingent in Mali im Rahmen der UN-Friedensmission MINUSMA aufgestockt werden. Damit soll Frankreich entlastet werden, das bisher die meisten Kräfte der Mission stellt.
Mit der Bekämpfung des IS wollen wir ihm die Fähigkeit zu terroristischen Anschlägen nehmen und seine Gräueltaten an der Zivilbevölkerung unterbinden, wie sie uns beim Völkermord an den Jesiden im Irak in schrecklicher Erinnerung sind. Die Erfahrungen bisheriger Militäreinsätze zur Terrorbekämpfung lehren uns, dass sie alleine keine Probleme lösen. Deshalb müssen sie durch andere Maßnahmen begleitet werden. Die umfassen diplomatische, entwicklungspolitische, polizeiliche und eben auch militärische Mittel. Für uns ist dabei aber absolut klar: Es wird keine Zusammenarbeit mit Assad geben, auch nicht mit Truppen unter seiner Führung.
Der hoffnungsvollste politische Ansatz ist der politische Prozess im Rahmen der Wiener Verhandlungen zur Beendigung des Bürgerkrieges in Syrien. Dort sitzen nicht nur erstmals die Todfeinde Iran und Saudi-Arabien gemeinsam am Verhandlungstisch, sondern mit den beiden Kovorsitzenden USA und Russland auch die beiden wichtigsten externen Akteure, um einen Waffenstillstand und einen politischen Übergangsprozess in Syrien auszuhandeln. Bisher wurde vereinbart, innerhalb von sechs Monaten die Voraussetzungen für eine Übergangsregierung zu schaffen. Ein 18 Monate langer Übergangsprozess soll schließlich in freie und faire Wahlen münden. Dabei stehen der Erhalt der syrischen Staatlichkeit und ein Transformationsprozess weg von Assad an oberster Stelle. Wenn dieser Fahrplan eingehalten werden kann, bestehen gute Chancen, den IS zu besiegen ohne ein Machtvakuum entstehen zu lassen, das all zu leicht zum Chaos führen kann.
Seit längerem leistet Deutschland Ausbildungs- und Ausrüstungshilfe für Peschmerga, Jesiden und andere gemäßigte Gruppen, die den IS bekämpfen. Diese erfolgreiche Ausbildungsmission im Nordirak wird von 100 auf 150 Soldaten vergrößert. Mithilfe der Luftunterstützung durch die Anti-IS-Koalition haben die Peschmerga zuletzt den IS aus Kobane und Sindschar vertrieben. Dadurch ist der IS auch psychologisch in die Defensive geraten, Der Druck kann durch verstärkte militärische Aktivitäten weiter gesteigert werden.
Die Finanzierung des IS wird in nicht unerheblichem Umfang durch das Ölgeschäft geleistet. Deshalb müssen diese Geschäfte unterbunden werden. Das geschieht durch Zerstörung der Transportkapazitäten, die Bekämpfung des Schmuggels und durch Isolierung der Abnehmer. Darüber hinaus müssen Geldtransfers an den IS verhindert werden. Daran arbeitet auch eine kleine internationale Taskforce in Paris. Deren Arbeit muss aber noch weit mehr unterstützt werden. Jetzt müssen alle Staaten, insbesondere aus der arabischen Welt, ebenfalls alles dafür tun, um die Finanztransfers an den IS zu unterbinden. Deutschland hat nach einer entsprechenden Resolution des Sicherheitsrats (2199) bereits einen eigenen Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung geschaffen
Parallel dazu erhöht Deutschland die humanitäre Hilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und dem Irak um 400 Millionen Euro auf rund eine Milliarde Euro und stellt im nächsten Jahr 850 Millionen Euro mehr für die Entwicklungszusammenarbeit mit den Anrainerstaaten Syriens bereit. Damit wird auch ein wichtiger Beitrag zur Reduzierung der Fluchtursachen geleistet.
Die Anläufe zur Bekämpfung der IS-Propaganda in den sozialen Netzwerken müssen verstärkt fortgesetzt werden und sollen mit Programme zur Prävention und Deradikalisierung von Jugendlichen begleitet werden.
Wir sind stolz darauf, in Deutschland eine „Parlamentsarmee“ zu haben. Anders als in den meisten Ländern der NATO und der EU entscheidet bei uns nicht die Regierung, sondern der Bundestag über den Einsatz der Bundeswehr. Deshalb braucht eine Entscheidung in Deutschland mehr Zeit.
Zunächst beschließt die Regierung über einen Einsatz, dann beraten die Fraktionen über ihre Bewertung des Regierungsbeschlusses. Das geschah am Dienstag der Plenarwoche bei der CDU/CSU-Fraktion in einer fast dreistündigen Fraktionssitzung. Am Mittwoch beriet der Bundestag in einer ersten Plenardebatte darüber, anschließend die zuständigen Ausschüsse. Am Freitag entschied der Bundestag endgültig über Art und Umfang des Bundeswehreinsatzes. Eine solch kompakte Form der Beratung und Beschlussfassung ist nötig, wenn in anderen Ländern die Entscheidung von einem Tag auf den anderen getroffen werden kann.
Es ist natürlich richtig, dass ein solcher Einsatz Risiken bedeutet. Aber ich bin überzeugt davon, dass Nichthandeln ein viel größeres Risiko bedeutet – sowohl für die europäische Solidarität wie für die Sicherheitslage in Deutschland. Deshalb habe ich dem Einsatz zugestimmt.
Hier einige hilfreiche Links:
Abstimmungsverhalten der Abgeordneten
UN-Resolution 2249 vom 20.11.2015
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